Verbraucherinsolvenzverfahren – Disposition über die Arbeitskraft

Im Rahmen des nunmehr veröffentlichten Urteils vom 15.07.2021 hatte sich das Bundesarbeitsgerichts nicht nur mit der Frage zu befassen, ob die Arbeitskraft eines Arbeitnehmers, der sich in einem Privatinsolvenzverfahren befindet, Bestandteil der Insolvenzmasse ist, sondern auch mit der Frage, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer im laufenden Insolvenzverfahren über sein Vermögen noch über Ansprüche verfügen kann.

Der klagende Arbeitnehmer beantragte während des laufenden Insolvenzverfahrens über sein Vermögen bei seinem Arbeitgeber die Gewährung einer tariflichen Freistellungszeit, woraufhin der Arbeitgeber diesen Antrag mit Verweis auf das Insolvenzverfahren ablehnte. Der Kläger erhielt die begehrte Freistellung nicht und erhielt stattdessen von seinem Arbeitgeber ein tarifliches Zusatzgeld nach dem Tarifvertrag.

Der Arbeitnehmer machte daraufhin klageweise geltend, dass er Anspruch auf die begehrte Freistellung habe und hatte damit in den beiden ersten Instanzen vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Erfolg.

Das Bundesarbeitsgericht hat auf die Revision des Arbeitgebers das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen aufgehoben und festgestellt, dass dem Arbeitnehmer kein Anspruch auf Freistellung nach dem Tarifvertrag zusteht, da die tariflichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren. Voraussetzung nach dem Tarifvertrag war insoweit, dass der Freistellungsanspruch „statt“ des tariflichen Zusatzgeldes besteht, sodass auch die diesbezüglichen Voraussetzungen nach dem Tarifvertrag erfüllt sein mussten und der Beschäftigte über diesen Geldanspruch auch rechtswirksam verfügen konnte.

Nach den Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts fehlt es an einer solchen Verfügungsbefugnis jedoch, falls der Beschäftigte bezüglich des Geldanspruchs einem gesetzlichen Verfügungsverbot unterliegt oder den Geldanspruch an einen Dritten abgetreten hat, was aufgrund des laufenden Insolvenzverfahrens der Fall war.

§ 81 Abs. 1 Satz 1 InsO bestimmt, dass Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam sind. § 81 InsO zieht damit die Konsequenz aus dem in § 80 Abs. 1 InsO angeordneten Verlust der Verfügungsbefugnis des Schuldners. Die Vorschrift dient dem Schutz der Insolvenzgläubiger gegen eine Masseminderung durch Verfügungen des Insolvenzschuldners. Gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 InsO gilt § 81 Abs. 1 InsO für eine Verfügung über künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge auch insoweit, als die Bezüge für die Zeit nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens betroffen sind.

Die gegenständliche Zuordnung zur Insolvenzmasse erfolgt anhand der Regelungen der §§ 35, 36 InsO. Das Insolvenzverfahren erfasst das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, § 35 Abs. 1 InsO. Einschränkend bestimmt § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse gehören. Die Norm will den Schuldner vor dem Verlust sämtlicher Vermögensgegenstände schützen und ihm einen unantastbaren Bereich persönlicher und lebensnotwendiger Güter bewahren. Bezüglich Arbeitseinkommen gelten nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO die Pfändungsschutzregelungen der §§ 850 ff. ZPO entsprechend. Zur Insolvenzmasse gehört nach diesen Vorgaben das pfändbare Arbeitseinkommen einschließlich des verschleierten Einkommens i.S.v. § 850h Abs. 2 ZPO.

Die Arbeitskraft des Schuldners als solche ist aber nicht Teil der Insolvenzmasse. Nicht zur Masse gehören Rechte, die keine Vermögensrechte sind. Hierunter fallen Persönlichkeitsrechte und höchstpersönliche Rechtsbeziehungen. Die Arbeitskraft des Schuldners ist Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, also kein Vermögensobjekt, und fällt damit nicht in die Insolvenzmasse. Der Schuldner kann zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht gezwungen werden. Der Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder hat keine Möglichkeit, die Tätigkeit des Schuldners zu beeinflussen.

Da die Arbeitskraft des Schuldners nicht Teil der Insolvenzmasse ist, gilt dies auch für das Arbeitsverhältnis als solches. Der Abschluss eines Arbeitsvertrags verpflichtet grundsätzlich zur persönlichen Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung (§§ 611a, 613 Satz 1 BGB). Da der Schuldner über seine Arbeitskraft frei verfügen kann, bleibt ihm auch die entsprechende Verfügungsbefugnis bezüglich vertraglicher Beziehungen, die seine Arbeitskraft betreffen. Das Arbeitsverhältnis als solches ist damit in Bezug auf die Handlungsmöglichkeiten des Schuldners vom Insolvenzverfahren nicht betroffen. Allein der Schuldner ist berechtigt, es zu kündigen, einen Aufhebungsvertrag zu schließen oder es in seinem Inhalt zu verändern.

Hiervon zu unterscheiden sind künftige Entgeltansprüche des Schuldners aus einem unverändert gebliebenen Arbeitsverhältnis. Solche Erlöse aus der Verwertung der Arbeitskraft unterfallen dem Insolvenzbeschlag. Über sie darf der Schuldner daher nicht mehr zum Nachteil der Masse verfügen und sie verbleiben ihm nur nach Maßgabe der Pfändungsschutzregelungen. Der Schuldner wird damit durch das Insolvenzrecht nicht zur Erbringung von Arbeitsleistung gezwungen, sondern nur zur Abgabe des auf unveränderter vertraglicher Grundlage erzielten Arbeitseinkommens an seine Gläubiger nach Maßgabe der insolvenzrechtlichen und pfändungsrechtlichen Bestimmungen.

Nach der Auffassung des BAG handelte es sich bei der Geltendmachung des Freistellungsanspruchs nach dem Tarifvertrag nicht um eine einer Änderung des Arbeitsvertrags vergleichbare Konstellation, sondern um eine Verfügung i.S.v. § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO.

Der Freistellungsanspruch beruhe nicht auf einer vertraglich vereinbarten Reduzierung der Arbeitszeit, welche von der Dispositionsbefugnis des Schuldners über seine Arbeitskraft umfasst wäre. Er ist vielmehr ein tariflicher Freistellungsanspruch, welcher bei unverändertem Vertragsinhalt an die Stelle eines künftig entstehenden tariflichen Zahlungsanspruchs tritt. Der Zahlungsanspruch, d.h. der Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld, ist als (künftiges) Arbeitseinkommen ein nach § 35 Abs. 1 InsO während des Insolvenzverfahrens erlangtes Vermögen und unterfällt damit grundsätzlich dem Insolvenzbeschlag. Bei der Geltendmachung des Freistellungsanspruchs nach dem Tarifvertrag handelt es sich um eine den Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld betreffende Verfügung i.S.v. § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO. Wegen des bezweckten Schutzes der Masse ist dieser Begriff weit zu verstehen.

Durch die Geltendmachung des Freistellungsanspruchs verfügt der Beschäftigte über das tarifliche Zusatzgeld i.S.v. § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO. Er gibt damit zu Lasten seiner Gläubiger im pfändbaren Umfang eine geldwerte Rechtsposition auf, denn der Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld entfällt nach § 5 TV T-ZUG bei Inanspruchnahme des Freistellungsanspruchs. Die „Gegenleistung Freizeit“ stellt kein Äquivalent zu Gunsten der Masse dar, sondern dient nur dem Beschäftigten persönlich. Eine solche Schmälerung der Masse zu Lasten der Gläubiger will § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO gerade verhindern.

Wird in einer Verbraucherinsolvenz Restschuldbefreiung beantragt, ist der Verlust der Verfügungsbefugnis nach § 81 Abs. 1 InsO von der Abtretung der pfändbaren Dienstbezüge nach § 287 Abs. 2 InsO zu unterscheiden.

Nach § 81 Abs. 2 Satz 2 InsO bleibt das Recht des Schuldners zur Abtretung von Bezügen aus einem Dienstverhältnis an einen Treuhänder mit dem Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger unberührt. Diese Ausnahme von dem grundsätzlichen Verfügungsverbot trägt dem Umstand Rechnung, dass § 287 Abs. 2 InsO die Abtretung pfändbarer Forderungen an einen Treuhänder zur Voraussetzung für die Erlangung der Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff. InsO macht. Strebt der Beschäftigte eine Restschuldbefreiung an, ist er gehalten, seine pfändbaren Ansprüche auf Arbeitsentgelt an den Treuhänder abzutreten.

Bezüglich der Restschuldbefreiung ist zwischen Insolvenzverfahren, deren Eröffnung vor oder nach dem 1. Juli 2014 beantragt wurde, zu differenzieren.

Nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO in der bis zum 30. Juni 2014 geltenden Fassung (a.F.) war dem Antrag auf Restschuldbefreiung die Erklärung beizufügen, dass der Schuldner seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge „für die Zeit von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt“. Dieser Zeitraum wird als „Wohlverhaltensphase“ oder „Wohlverhaltensperiode“ bezeichnet. Unter Bezügen aus einem Dienstverhältnis sind sämtliche Arten von Arbeitseinkommen zu verstehen, auch einmalige Zahlungen.

Für vor dem 1. Juli 2014 beantragte Insolvenzverfahren gilt nach Art. 103h Satz 1 EGInsO weiterhin der zum 1. Juli 2014 außer Kraft getretene § 291 InsO. Liegt ein wirksamer Antrag auf Restschuldbefreiung vor, wird vom Insolvenzgericht zunächst geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Restschuldbefreiung grundsätzlich vorliegen oder ob Versagungsgründe (§ 290 InsO) bestehen. Dieses Vorverfahren verläuft zeitlich parallel zum Insolvenzverfahren. Liegen keine Versagungsgründe vor, stellt das Gericht nach § 291 Abs. 1 InsO a.F. in einem Beschluss fest, dass der Schuldner die Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkommt und die Voraussetzungen für eine Versagung nach § 297 InsO oder § 298 InsO nicht vorliegen. Im gleichen Beschluss bestimmt das Gericht gemäß § 291 Abs. 2 InsO a.F. den Treuhänder, auf den die pfändbaren Bezüge des Schuldners nach Maßgabe der Abtretungserklärung (§ 287 Abs. 2 InsO) übergehen.
Die rechtskräftige Ankündigung der Restschuldbefreiung nach § 291 Abs. 1 InsO a.F. soll Klarheit über den Fortgang des Restschuldbefreiungsverfahrens schaffen, indem es eine zeitliche Zäsur schafft. Für die Restschuldbefreiung ist nur noch das künftige Verhalten des Schuldners maßgeblich. Beendet ist das Insolvenzverfahren aber erst, wenn die Schlussverteilung vollzogen ist und das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens beschlossen hat (§ 200 Abs. 1 InsO). Erst dann erlangt der Schuldner die Verfügungsbefugnis wieder und der Beschlag endet. Die Ankündigung der Restschuldbefreiung erfolgt zeitlich vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Solange das Verfahren nicht aufgehoben ist, beginnt die Wohlverhaltensphase nicht zu laufen. Neuerwerb, den der Schuldner bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlangt, fällt nach den §§ 35, 36 InsO auch dann noch in die Masse, wenn bereits die Restschuldbefreiung angekündigt worden ist. Bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens tritt der Insolvenzverwalter bzw. die von ihm verwaltete Masse an die Stelle des in § 287 Abs. 2, § 295 Abs. 2 InsO a.F. vorgesehenen Treuhänders. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens greift dann nur noch die Abtretung an den Treuhänder. Die sechsjährige Wohlverhaltensphase beginnt allerdings nach § 287 Abs. 2 InsO a.F. bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nach Ablauf der Wohlverhaltensphase entscheidet das Insolvenzgericht gemäß § 300 InsO über die Gewährung oder Versagung der Restschuldbefreiung. Bei Antrag eines Gläubigers ist eine Versagung auch vorher möglich. Dies führt nach § 299 InsO zur vorzeitigen Beendigung der Wohlverhaltensphase.

Bei nach dem 1. Juli 2014 beantragten Insolvenzverfahren stellt das Insolvenzgericht bei einem zulässigen Antrag auf Restschuldbefreiung schon mit der Eingangsentscheidung nach § 287a Abs. 1 InsO fest, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten nach den §§ 295 und 295a InsO nachkommt und die Voraussetzungen für eine Versagung nach den §§ 290, 297 bis 298 InsO nicht vorliegen. Die jetzt als Abtretungsfrist bezeichnete Wohlverhaltensphase wurde nach § 287 Abs. 2 InsO in den ab dem 1. Juli 2014 geltenden Fassungen unter Umständen auf bis zu drei Jahre verkürzt.

Aufgrund dieser Rechtslage war der Kläger wegen Abtretung seiner Entgeltansprüche an den Treuhänder nach § 287 Abs. 2 InsO a.F. i.V.m. § 398 Satz 2 BGB nicht mehr befugt, über den Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld zu verfügen. Zu diesem Zeitpunkt war das Insolvenzverfahren bereits aufgehoben und der Kläger befand sich in der Wohlverhaltensphase. In dieser war er wegen der Abtretung seiner Entgeltansprüche an den Treuhänder nicht mehr Inhaber der Forderung und konnte über sie nicht mehr dadurch verfügen, dass er die Ersetzung des tariflichen Zusatzgeldes durch Freistellung beantragte und so diesen Geldanspruch dem Zugriff seiner Gläubiger entzog.


Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.07.2021 – 6 AZR 460/20

25.11.2021, 10:00
Kategorien: Veröffentlichungen
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht