Unfallflucht: Unerlaubtes Entfernen von einem anderen Ort

Das LG Lübeck entschied mit Beschluss vom 07.09.2021, dass ein Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an dem der Beschuldigte erstmals von dem Unfall erfuhr, nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort erfüllt.

Die Beschuldigte wollte mit einem Fahrzeuggespann, bestehend aus einem Audi Q7 und einem Anhänger, der Platz für zwei hintereinander stehende Pkw bot, innerorts nach links abbiegen und musste verkehrsbedingt warten. Um ihr das Abbiegen zu ermöglichen, bremste der Fahrer eines ihr entgegenkommenden Taxis ab. Beim Abbiegevorgang streifte ihr Anhänger dann einen gegenüber des Einmündungsbereiches der Straße, in die sie abbiegen wollte, geparkten Pkw Fiat Panda und verursachte daran auf einer Länge von 190 cm starke Schrammen, starke Dellen und Schmutzrückstände, ohne dass ihr Anhänger selbst dabei beschädigt wurde. Die Beschuldigte setzte ihren Abbiegevorgang fort. Der Taxifahrer und ebenso die Führerin des hinter der Beschuldigten befindlichen Fahrzeugs hatten den Unfall wahrgenommen und sprachen darüber, woraufhin der Taxifahrer dann ebenfalls in die Straße einbog, wo er dann auf die Beschuldigte und ihren Beifahrer traf und sie auf den Unfall ansprach. Gleichzeitig informierte der Taxifahrer die Polizei.

Als Zeuge erklärte der Taxifahrer, dass er durch das Geräusch und die weitere Zeugin auf den Unfall aufmerksam geworden sei. Die Beschuldigte sei nach dem Abbiegen etwa 100 Meter in die Straße hineingefahren. Auf seinen Hinweis hin hätten sie geantwortet, dass sie sich um den Unfall kümmern würden.

Das Amtsgerichts Lübeck hat der Beschuldigten mit Beschluss vom 14.06.2021 nach den §§ 111a StPO, 69 StGB die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen und ihren Führerschein beschlagnahmt. Sie habe einen Fremdsachschaden von 2.000 € verursacht, den Unfall bemerkt und zumindest damit gerechnet, dass Unfallbeteiligte nicht unerheblich verletzt oder ein bedeutender Fremdsachschaden verursacht worden sein könnte. Zudem habe der Zeuge sie in unmittelbarer Nähe zum Unfallort auf den Verkehrsunfall aufmerksam gemacht. Die Beschuldigte habe sich aber sogleich von der Unfallstelle entfernt, um sich sämtlichen erforderlichen Feststellungen zu entziehen.

Gegen diesen Beschluss richtete sich die von der Beschuldigten mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 01.08.2021 eingelegte Beschwerde. Die Beschuldigte trug vor, den Unfall nicht bemerkt zu haben. Sie sei abgebogen, bis zum Ende der Straße durchgefahren, habe gewendet und einige Meter vor einem Parkplatz angehalten. Dort habe sie dann ein Fahrzeug gekauft und auf ihren Anhänger geladen. Erst etwa 20 Minuten nach dem Abbiegen in die Straße sei der Taxifahrer erschienen und habe sie über den Unfall informiert. Er habe ihr ferner gesagt, dass er bereits die Polizei informiert habe und sie sich um nichts weiter kümmern müsse. Mit ihrem Einverständnis habe er noch ihren Anhänger fotografiert. Sie und ihr Begleiter hätten sodann den Einmündungsbereich aufgesucht, wo sich jedoch keine Personen befunden hätten. Daraufhin hätten sie ihre Fahrt fortgesetzt. Die Beschuldigte legte ferner ein von ihrem Beifahrer unterzeichnetes Schriftstück vor, wonach sie das andere Fahrzeug unbemerkt gestreift habe. Das Ziel ihrer Fahrt habe sich etwa 500 Meter von der Unfallstelle befunden. Nach etwa 15 Minuten sei der Taxifahrer erschienen und habe sie über den Unfall informiert, Fotos von den Kennzeichen des Zugfahrzeuges und des Anhängers gemacht und gesagt, dass Zeugen den Unfall schon bei der Polizei gemeldet hätten. Einige Minuten später sei die Beschuldigte mit ihm zur Unfallstelle gefahren, wo weder der Halter des beschädigten Fahrzeuges noch Zeugen gewesen seien. Etwa zehn Minuten später seien sie dann nach Hause gefahren.

Die Beschwerde hatte Erfolg und der Beschluss des Amtsgerichts wurde vom Landgericht Lübeck aufgehoben.

Aus Sicht der Kammer bestehe nämlich kein dringender Tatverdacht dahingehend, dass die Beschuldigte den Unfall unmittelbar wahrnahm. Es sei vielmehr nachvollziehbar, dass sie bei dem herrschenden starken Verkehr und mit einem Beifahrer im Fahrzeug nicht bemerkt haben könnte, dass ihr sehr langer Anhänger ein geparktes Fahrzeug streifte. Auch wenn der Fahrer des ihr entgegenkommenden Taxis ein Geräusch wahrgenommen haben sollte, müsse dies nicht auch für die Beschuldigte gelten. So könne der Taxifahrer etwa mit offenem Fenster gefahren sein, die Beschuldigte jedoch nicht.

Soweit die Beschuldigte von dem Taxifahrer auf den Unfall angesprochen wurde, könne dies geschehen sein, nachdem sie sich bereits vom Unfallort entfernt hatte.

Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals von dem Unfall erfuhr, erfülle aber eben gerade nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Sofern die Beschuldigte, wie sie es bekunde, die Straße bis zum Ende gefahren sei, um dort zu wenden, habe sie sich laut Google Maps etwa 260 Meter von der Unfallstelle entfernt, wobei sie sich wegen einer Kurve auch nicht mehr in Sichtweite zur Unfallstelle befunden habe. Mithin habe kein unmittelbarer räumlicher Bezug zu dem Unfallgeschehen mehr bestanden. Auch für feststellungsbereite Personen wäre sie hier nicht als warte- und auskunftspflichtig zu erkennen gewesen.


Landgericht Lübeck, Beschluss vom 07.09.2021 – 4 Qs 164/21

27.10.2021, 11:35
Kategorien: Veröffentlichungen
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht