Abschleppfälle - Recht zum Abschleppen eines unbefugt abgestellten Fahrzeugs erfordert keine konkrete Nutzungsabsicht des Berechtigten

Mit Urteil vom 23.06.2022 entschied das LG München I, dass im Fall eines unbefugt auf einem Parkplatz abgestellten Fahrzeugs der Berechtigte befugt ist, das Fahrzeug abschleppen zu lassen, ohne dass eine konkrete Nutzungsabsicht erforderlich ist. Zudem besteht keine Wartepflicht bis zum Rufen des Abschleppdienstes.

Im Jahr 2018 bemerkte die Mieterin eines Privatparkplatzes, dass dort unbefugt ein Fahrzeug abgestellt war. Sie beauftragte deshalb ein Abschleppunternehmen mit der Entfernung des PKWs. Bei Eintreffen der Mitarbeiter des Abschleppunternehmens war das Fahrzeug jedoch nicht mehr vorhanden. Sodann klagte die Abschleppfirma aus von der Mieterin abgetretenem Recht (§ 398 BGB) gegen den Halter des Fahrzeugs auf Erstattung der Kosten in Höhe von insgesamt 293,90 € brutto.

Das Amtsgericht München, Urteil vom 18.06.2019 – 171 C 2212/19 wies die Klage aufgrund mangelnder konkreter Nutzungsabsicht der Mieterin des Stellplatzes ab, weil deren Vorgehen als wirtschaftlich unvernünftig und unverhältnismäßig erachtet wurde. Nach Auffassung des Amtsgerichts sei die Entfernung des Fahrzeugs des Beklagten deshalb zum konkreten Zeitpunkt auf Veranlassung der Mieterin hin nicht gerechtfertigt gewesen. Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung hatte die Klägerin Erfolg.

Nach Meinung des Landgerichts München I stehe der Klägerin ein Anspruch auf Kostenerstattung zu. Für den Anspruch komme es nicht auf eine konkrete Nutzungsabsicht des Stellplatzes an. Denn ein unbefugt auf einem fremden Grundstück abgestelltes Fahrzeug dürfe schließlich auch ohne konkrete Behinderung entfernt werden.

Die Auftraggeberin als Mieterin des Stellplatzes sei auch deren Besitzerin und habe sich deshalb nach §§ 858, 859 Abs. 3 BGB „sofort nach der Entziehung des Besitzes durch Entsetzung des Täters wieder bemächtigen“ dürfen. Dieses Recht beinhalte auch die Beauftragung eines Unternehmens hierzu. Denn das Entfernen widerrechtlich abgestellter Fahrzeuge erfolge zwangsläufig durch deren Umsetzung. Nachdem der Beklagte nach eigenem Vortrag dort nur kurz stand, sei auch der erforderliche zeitliche Zusammenhang gegeben.

Auch habe für die Klägerin entgegen der Meinung des Beklagten keine Wartepflicht bis zum Rufen des Abschleppunternehmens bestanden. Zum einen bestehe im Falle eines zu langen Zuwartens die Gefahr, dass die Maßnahmen nicht mehr „sofort“ im Sinne des § 859 Abs. 3 BGB angesehen werden könnten. Zum anderen sei es letztlich das Risiko des Besitzstörers, dass der Berechtigte sogleich ein Abschleppunternehmen beauftrage. Dies gelte insbesondere dann, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass der Besitzstörer das Fahrzeug demnächst wieder entfernen werde. Auch seien im zu entscheidenden Fall keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass diesem Ergebnis das Schikaneverbot nach § 226 BGB bzw. die allgemeine Schranke des Rechtsmissbrauchs entgegenstünden.

Es komme dabei nur darauf an, dass der Gegenseite keine unverhältnismäßig großen Nachteile zugefügt werden, die durch die Wahl anderer ebenso zur Abwehr geeigneter Maßnahmen hätten vermieden werden können. Für die Beurteilung, ob der ebenfalls auf Treu und Glauben beruhende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt sei, sei grundsätzlich eine Mittel-Zweck-Relation maßgeblich. Die Ausübung eines Rechts sei dann unzulässig, wenn sie der Gegenseite unverhältnismäßig große Nachteile zufüge und andere, weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen des Berechtigten ebenso gut Rechnung getragen hätten oder ihm zumindest zumutbar gewesen wären. Danach sei das Abschleppen des Fahrzeugs des Beklagten keinesfalls unverhältnismäßig gewesen. Denn dass die Mieterin in anderer, insbesondere kostengünstigerer Weise von ihrem Selbsthilferecht hätte Gebrauch machen können, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Insoweit sei die Mieterin nicht verpflichtet gewesen, die Störung so lange hinzunehmen, bis der Fahrer das Fahrzeug selbst von dem Stellplatz entfernte oder aber die Beklagte nach entsprechender Halterermittlung und Unterrichtung über die Störung durch die Grundstücksbesitzerin dies veranlasste. Aus der Sicht eines verständigen, sich rechtstreu verhaltenden Fahrzeughalters habe das Abschleppen deshalb seinem Interesse entsprochen, weil nur auf diese Weise der Beseitigungsanspruch zu der geschuldeten Zeit erfüllt werden konnte.


Landgericht München I, Urteil vom 23.06.2022 – 31 S 10277/19

06.09.2022, 10:30
Kategorien: Veröffentlichungen
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht