Umfang des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts

Gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO) kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht bereits durch den Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder einen anwendbaren Tarifvertrag festgelegt sind (Direktions- oder Weisungsrecht).

Seine Grenzen findet das arbeitgeberseitige Direktionsrecht in den gesetzlichen Schutzvorschriften, insbesondere des Arbeitszeitgesetzes, des Mutterschutzgesetzes und des Jugendarbeitsschutzgesetzes und muss durch den Arbeitgeber nach billigem Ermessen ausgeübt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) setzt die Wahrung billigen Ermessens dabei voraus, dass der Arbeitgeber die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen (z.B. die sozialen Lebens- und Familienverhältnisses des Arbeitnehmers) angemessen berücksichtigt hat. Ob dies ordnungsgemäß erfolgt ist, unterliegt der Kontrolle durch die Arbeitsgerichte.

Im Rahmen eines aktuellen Urteils vom 30.11.2022 (Az. 5 AZR 336/21) hatte sich das BAG mit der Frage zu beschäftigen, ob das arbeitgeberseitige Direktionsrecht auch eine Versetzung des Arbeitnehmers ins Ausland deckt.

Nach der Entscheidung des BAG kann der Arbeitgeber aufgrund seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts den Arbeitnehmer anweisen, an einem Arbeitsort des Unternehmens im Ausland zu arbeiten, wenn nicht im Arbeitsvertrag ausdrücklich oder den Umständen nach konkludent etwas Anderes vereinbart worden ist.

§ 106 GewO begrenzt das Weisungsrecht des Arbeitgebers insoweit nicht auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Die Ausübung des Weisungsrechts im Einzelfall unterliegt nach dieser Bestimmung allerdings einer Billigkeitskontrolle.

In dem diesem Urteil zu Grunde liegenden Sachverhalt wurde ein Pilot von einem international tätigen Luftverkehrsunternehmen von Nürnberg nach Bologna versetzt. Ursprünglicher Stationierungsort des Klägers war der Flughafen Nürnberg. Der Arbeitsvertrag sah vor, dass der Kläger auch an anderen Orten stationiert werden kann. Aufgrund der Entscheidung, die Homebase am Flughafen Nürnberg aufzugeben, versetzte die beklagte Fluggesellschaft den Kläger an ihre Homebase am Flughafen Bologna. Vorsorglich sprach sie eine entsprechende Änderungskündigung aus, die der Kläger unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annahm.

Der Kläger hielt seine Versetzung nach Bologna für unwirksam und hat im Wesentlichen gemeint, das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO erfasse nicht eine Versetzung ins Ausland. Zumindest sei eine solche unbillig, weil ihm sein tariflicher Vergütungsanpruch entzogen werde und ihm auch ansonsten erhebliche Nachteile entstünden.

Dagegen hat die Beklagte gemeint, § 106 Satz 1 GewO lasse auch eine Versetzung ins Ausland zu, zumal als Alternative nur eine betriebsbedingte Beendigungskündigung in Betracht gekommen wäre. Ihre Entscheidung wahre billiges Ermessen, es seien alle an der Homebase Nürnberg stationierten Piloten ins Ausland versetzt worden, ein freier Arbeitsplatz an einem inländischen Stationierungsort sei nicht vorhanden gewesen. Zudem habe sie das mit der Gewerkschaft VC in einem „Tarifsozialplan bzgl. Stilllegung/Einschränkung von Stationierungsorten“ vorgesehene Verfahren eingehalten.

Der klagende Pilot blieb mit seiner Revision vor dem Bundearbeitsgericht ohne Erfolg.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich im Ergebnis den Entscheidungen der beiden Vorinstanzen angeschlossen und ausgeführt, dass wenn – wie im Streitfall – arbeitsvertraglich ein bestimmter inländischer Arbeitsort nicht fest vereinbart, sondern ausdrücklich eine unternehmensweite Versetzungsmöglichkeit vorgesehen ist, das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 Satz 1 GewO auch die Versetzung an einen ausländischen Arbeitsort umfasst. Eine Begrenzung des Weisungsrechts auf Arbeitsorte in der Bundesrepublik Deutschland ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Das Landesarbeitsgericht habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Maßnahme billigem Ermessen entsprach und der Ausübungskontrolle standhält. Die Versetzung ist Folge der unternehmerischen Entscheidung, die Homebase am Flughafen Nürnberg aufzugeben. Damit ist die Möglichkeit, den Kläger dort zu stationieren, entfallen. Die Beklagte hat das für einen solchen Fall in dem mit der Gewerkschaft VC geschlossenen Tarifsozialplan vereinbarte Verfahren eingehalten. Offene Stellen an einem anderen inländischen Stationierungsort gab es nicht, ein Einsatz als „Mobile Pilot“ war nicht möglich, eine Base-Präferenz hatte der Kläger nicht angegeben, alle am Flughafen Nürnberg stationierten Piloten wurden an einen Standort in Italien versetzt. Die Weisung der Beklagten lässt den Inhalt des Arbeitsvertrags, insbesondere das arbeitsvertragliche Entgelt, unberührt. Dass der Kläger den Anspruch auf das höhere tarifliche Entgelt verliert, liegt an dem von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Geltungsbereich des Vergütungstarifvertrags, der auf die in Deutschland stationierten Piloten beschränkt ist. Zudem sieht der Tarifsozialplan vor, dass Piloten, die an einen ausländischen Stationierungsort verlegt werden, zu den dort geltenden Arbeitsbedingungen, insbesondere den dortigen Tarifgehältern, weiterbeschäftigt werden.

Es ist auch nicht unbillig i.S.d. § 106 Satz 1 GewO, wenn die Beklagte mit der Versetzung verbundene sonstige Nachteile des Klägers, der seinen Wohnort Nürnberg nicht aufgeben will, finanziell nicht stärker ausgleicht, als es im Tarifsozialplan vorgesehen ist. Weil die Versetzung des Klägers bereits aufgrund des Weisungsrechts der Beklagten wirksam war, kam es auf die von ihr vorsorglich ausgesprochene Änderungskündigung nicht mehr an.


Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.11.2022 – 5 AZR 336/21
Pressemitteilung 45/22 vom 30.11.2022

22.12.2022, 13:00
Kategorien: Veröffentlichungen
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht