Schmerzensgeld wegen Schockschadens erfordert pathologisch fassbare Auswirkungen

Das OLG Celle entschied mit Urteil vom 24.08.2022, dass der Vater nach dem Unfalltod seines Sohnes keine eigene Rechtsgutsverletzung in Form einer Körper- oder Gesundheitsverletzung nach den Grundsätzen eines sog. „Schock- oder Fernwirkungsschadens“ geltend machen kann, solange keine pathologisch fassbaren Auswirkungen vorliegen.

Im zu entscheidenden Fall ist der Sohn des Klägers während eines Abbiegevorgangs von einer Sattelzugmaschine tödlich verletzt worden. Der Kläger traf kurz nach dem Unfall an der Unfallstelle ein. Dort wurde er mit dem Anblick des leblosen Körpers seines Sohnes konfrontiert. Der Kläger bedurfte der vor Ort angebotenen Hilfe der Notfallseelsorge und auch der weitergehenden psychologischen Behandlung.

Nun begehrte der Kläger vom Unfallverursacher die Zahlung von Schmerzensgeld infolge der Verletzung an eigenen Rechtsgütern in Form einer Körper- oder Gesundheitsverletzung.

Vom Landgericht Hannover (Urteil vom 10. Januar 2021 - Az. 1 O 67/19) wurde dem Kläger das im Wege des Zahlungsantrages geltend gemachte Schmerzensgeld verwehrt. Das Landgericht stützte sich in den Entscheidungsgründen insbesondere auf das Gutachten des Sachverständigen, der feststellte, dass der Kläger zwar unter einer fortbestehenden leichten depressiven Episode leide, dies aber Ausdruck einer normalpsychologischen tiefen Trauer sei.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil blieb hinsichtlich des Schmerzensgeldes ohne Erfolg.

Das Oberlandesgericht führte aus, dass psychische Beeinträchtigungen in dem Bereich der Schockschäden nur dann als Gesundheitsverletzung angesehen werden könnten, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind und die deshalb auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden. Eine Ersatzpflicht wird für solche psychisch vermittelten Beeinträchtigungen nur dort bejaht, wo es zu gewichtigen psycho-pathologischen Ausfällen von einiger Dauer kommt.

Das OLG Celle verneinte vorliegend das „außergewöhnliche“ Ausmaß der psycho-pathologischen Ausfälle. Eine für den Schockschaden ausreichende Schwere, die über das hinausgeht, was Eltern bei dem Tod eines minderjährigen Kindes ohnehin durchleiden müssen, läge nicht vor. Für das Vorliegen eines Schockschadens müssen konkrete Krankheitssymptome feststellbar sein, die den Rückschluss auf pathologisch fassbare Auswirkungen zulassen.

Ohne pathologisch fassbare Auswirkung seien auch Depressionen, Schlafstörungen, Albträume, Seelenschmerzen, Weinkrämpfe, Gefühle des „Aus-der-Bahn-geworfen-seins“ und vorübergehende Kreislaufstörungen bis hin zu Kollaps-Belastungen nicht ausreichend zur Annahme einer Gesundheitsverletzung. Nach Ansicht des Gerichtes verwirkliche sich darin nach der Wertung des Gesetzes lediglich das „normale“ Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt.

Auch die von ärztlicher Seite für notwendig erachtete Behandlung, weil der Tod des Sohnes nicht verarbeitet werden kann, belegt nach Ansicht des Oberlandesgerichtes noch keine nach der allgemeinen Verkehrsauffassung bestehende Gesundheitsverletzung.

Die Entschädigung für das unzweifelhaft erhebliche und schwerwiegende seelische Leid des Klägers kann nach Ansicht des OLG Celle folglich nur im Wege des Hinterbliebenengeldes - für dessen Bemessung die gesundheitlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Klägers maßgebliche Kriterien sind – erfolgen.


Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 24.08.2022 – 14 U 22/22

18.10.2022, 16:00
Kategorien: Veröffentlichungen
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht