Persönliche unbegrenzte Haftung des Geschäftsführers für Schäden der Neugläubiger bei Insolvenzverschleppung

In einer Entscheidung vom 19.11.2019 hatte sich der Bundesgerichtshof (Az. II ZR 53/18) mit Fragen der Haftung des Geschäftsführers für Ausfälle von Gläubigern zu befassen, die nach Eintritt der Insolvenzreife Leistungen an eine GmbH erbrachten, ohne die vertraglich vereinbarte Gegenleistung zu erhalten.

Entschieden wurde über Ansprüche sogenannter Neugläubiger, also solcher Gläubiger, die erst nach Eintritt einer Insolvenzlage im Vertrauen auf die Solvenz der Gesellschaft eine vertragliche Beziehung mit dieser eingehen, Vorleistungen erbringen oder Aufwendungen haben und in der Folgezeit mit der Gegenleistung ausfallen. Während Altgläubiger ihre nicht mehr beglichenen Forderungen lediglich im Insolvenzverfahren der Gesellschaft geltend machen können, steht es Neugläubigern frei, Haftungsansprüche direkt gegenüber dem Geschäftsführer geltend zu machen.

In seiner Entscheidung beschäftigt sich der BGH insbesondere auch mit den für die Erfolgsaussichten einer solchen Klage entscheidenden Fragen zur Darlegungs- und Beweislast. Der Gläubiger hat als Kläger zunächst die Insolvenzreife der Gesellschaft darzulegen, an der die Haftung des Geschäftsführers, dem vorgeworfen wird, nicht rechtzeitig einen Insolvenzantrag gestellt und den Schaden des Gläubigers durch dessen Eintritt in eine vertragliche Beziehung mit einer insolvenzreifen Gesellschaft herbeigeführt zu haben. Die Darlegung der Insolvenzreife kann bei Kapitalgesellschaften unter Heranziehung der von diesen zu veröffentlichenden Bilanzen auch ohne detaillierte Einblicke in die Unternehmensinterna, die der Gläubiger in der Regel nicht hat, möglich sein. Sodann obliegt es dem Geschäftsführer, darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass das von ihm geführte Unternehmen zum relevanten Zeitpunkt über in der Bilanz nicht ausgewiesene Vermögenspositionen verfügte, die die bilanzielle Überschuldung ausgeglichen haben oder dass die Insolvenzreife vor der Begründung der in Rede stehenden Vertragsbeziehung mit dem klagenden Gläubiger wieder beseitigt wurde. Gelingt dies dem Geschäftsführer nicht, haftet er dem Gläubiger für den diesem daraus entstandenen Schaden, dass er auf die Solvenz der Gesellschaft vertraute.

Da es sich hier um eine Haftung aus „unerlaubter Handlung“ handelt, kann der Gläubiger, sollte über das Vermögen des Geschäftsführers ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, die Versagung der Befreiung von der Restschuld verlangen, sodass der Geschäftsführer auch nach Abschluss des Verfahrens über sein eigenes Vermögen von der Haftung für den dem Gläubiger entstandenen Schaden nicht befreit ist. Der Haftungsprozess des Neugläubigers gegen den Geschäftsführer wegen Insolvenzverschleppung ist für beide Seiten von Bedeutung und erheblicher Tragweite. Mit dem Geschäftsführer steht dem Neugläubiger neben der im Insolvenzverfahren befindlichen Gesellschaft ein weiterer, möglicherweise noch leistungsfähiger Schuldner zur Verfügung. Für den Geschäftsführer besteht hier ein erhebliches, möglicherweise existenzvernichtendes Haftungsrisiko, dem er sich auch nicht durch ein eigenes Insolvenzverfahren entziehen kann.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. November 2019 – II ZR 53/18

16.11.2021, 11:30
Kategorien: Veröffentlichungen