Insolvenzfähigkeit politischer Parteien und Insolvenzantragsberechtigung öffentlicher Gläubiger

Ein als nicht eingetragener Verein organisierter Gebietsverband einer politischen Partei ist insolvenzfähig.

Ein öffentlicher Gläubiger hat jedenfalls dann kein rechtliches Interesse an der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gebietsverbands einer politischen Partei, wenn er der einzige Gläubiger ist, die Gefahr des Auflaufens weiterer Forderungen des öffentlichen Gläubigers nicht besteht und der Gebietsverband nicht wirtschaftlich tätig ist.

(BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – IX ZB 4 -18 –, juris)


Anmerkung:

Diese Entscheidung verdeutlicht wieder, wie differenziert die Problemstellungen im Bereich des Insolvenzrechts zu beachten sind, stets der Blick auf den Einzelfall zu richten ist und gerade in der heutigen Zeit mit pauschalen Aussagen in Bezug zum Verhalten in Krisenzeiten sehr vor- und umsichtig umzugehen sein wird.

Sachverhalt:

Der Schuldner ist ein Landesverband einer Partei, die ebenso wie der Schuldner nicht in das Vereinsregister eingetragen ist.

Über mehrere Jahre stellte der Schuldner Spendenbescheinigungen für Parteimitglieder aus. Das Finanzamt hielt die Bescheinigungen für unrichtig und warf dem Schuldner grobe Fahrlässigkeit vor. Deshalb erließ es gegen den Schuldner Haftungsbescheide wegen der infolge der unrichtigen Spendenbescheinigungen entgangenen Einkommensteuer (§ 10b Abs. 4 EStG). Die Einsprüche des Schuldners gegen die Haftungsbescheide und dessen Klage vor dem Finanzgericht blieben ohne Erfolg. Zahlungen auf die Haftungsschuld leistete der Schuldner nicht. Vollstreckungsversuche des Landes blieben weitgehend erfolglos.

Am 9. November 2016 hat das Land, vertreten durch das Finanzamt, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt. Das Insolvenzgericht hat das Verfahren eröffnet einen Insolvenzverwalter bestellt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht den Eröffnungsbeschluss aufgehoben und den Insolvenzantrag abgewiesen. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt das Land die Wiederherstellung des Eröffnungsbeschlusses.

Entscheidungsgründe:

Der BGH führt hierzu aus:

„Im Grundsatz kann über das Vermögen eines Gebietsverbands einer politischen Partei, der als nicht eingetragener Verein organisiert ist, ein Insolvenzverfahren eröffnet werden. Der Parteienstatus schließt die Insolvenzfähigkeit nicht von vornherein aus (Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 4. Aufl., § 12 InsO Rn. 11; FK-InsO/Schmerbach, 9. Aufl., § 12 Rn. 5; HK-InsO/Sternal, 10. Aufl., § 12 Rn. 5; HmbKomm-InsO/Linker, 7. Aufl., § 12 Rn. 9; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 12 Rn. 16; Beck/Depré/Ampferl/Kilper, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl., § 2 Rn. 7; Gottwald/Haas/Gundlach, Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 5 Rn. 44; vgl. auch MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 12 Rn. 11).“

In den weiteren Gründen führt der BGH sehr eindrucksvoll aus, dass auch die im Grundgesetz geschützten Rechtspositionen der politischen Vereinigung letztlich nicht grundsätzlich gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens angeführt werden können, da durch die Regelungen der Insolvenzordnung und des im BGB verankerten Gesellschaftsrechts hier ein Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen erfolgt.

Der BGH stellt jedoch heraus, dass es stets einer Einzelfallprüfung unter Abwägung der kollidierenden Verfassungsrechtspositionen bedarf und führt hierzu aus:

„Ein schonender Ausgleich der kollidierenden Verfassungsrechtspositionen, der die Interessen aller Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden lässt, ist dadurch zu erreichen, dass neben dem insolvenzrechtlichen Verfahrenszweck auch der verfassungsrechtliche Status der Partei bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften der Insolvenzordnung zu berücksichtigen ist. Bei den Entscheidungen im Eröffnungsverfahren, über die Eröffnung und im eröffneten Verfahren ist sorgfältig zu prüfen, ob die mit der jeweiligen Maßnahme verbundenen Einschränkungen der Parteienrechte im einzelnen Fall geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind, um den Verfahrenszweck zu verwirklichen (vgl. BFH/NV 2011, 1017 Rn. 12). Diese Abwägung kann ergeben, dass die Gläubigerinteressen ganz oder teilweise hinter die Parteienrechte zurücktreten müssen. Ist über die Zulässigkeit eines Gläubigerantrags zu entscheiden, hat das Insolvenzgericht die gebotene Abwägung insbesondere bei der Prüfung des rechtlichen Interesses an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO vorzunehmen.“

Unter diesem Aspekt und Würdigung der konkreten Umstände hat den BGH dann zu dem Schluss geführt, dass der Insolvenzantrag des Landes als öffentlichen Gläubiger unzulässig sei:

„Das Insolvenzgericht darf das rechtliche Interesse (§ 14 Abs. 1 Satz 1 InsO) eines öffentlichen Gläubigers an der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer politischen Partei oder deren Untergliederung nur bejahen, wenn es positiv feststellt, dass die Eröffnung auch unter Berücksichtigung des Status der Partei gemäß Art. 21 Abs. 1 GG verhältnismäßig ist. (…) Betrifft der Insolvenzantrag eines Gläubigers das Vermögen einer politischen Partei oder deren Untergliederung, erfordert die praktische Konkordanz der kollidierenden Verfassungsrechtspositionen, den durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützten Status der Partei dadurch zu berücksichtigen, dass bei der Prüfung des rechtlichen Interesses an der Verfahrenseröffnung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO sorgfältig erwogen wird, ob die mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Einschränkungen der Parteienrechte im Einzelfall geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind, um den Verfahrenszweck zu verwirklichen. Dieser Anforderung wird das vorstehend aufgezeigte Regel-Ausnahme-Verhältnis jedenfalls dann nicht gerecht, wenn den Insolvenzantrag über das Parteivermögen ein öffentlicher Gläubiger gestellt hat, der - im Unterschied zu privaten Gläubigern - kein grundrechtlich geschütztes Interesse an der Verfahrenseröffnung vorweisen kann. Deshalb muss das Insolvenzgericht vor der Entscheidung über die Eröffnung seine Ermittlungen auch auf die Umstände erstrecken, die zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung sein können, und diese bei der Entscheidung berücksichtigen. Dazu gehört die Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalls die Einleitung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens erforderlich ist.“

Resümee:

Im konkreten Fall war also eine Unzulässigkeit des Insolvenzantrags anzunehmen, da das Land (zumindest nach den Feststellungen der Tatsacheninstanz) der einziger Gläubiger war, es zu keinen neuen Verbindlichkeiten gegenüber dem Gläubiger kommen konnte und sich die politische Vereinigung nicht unternehmerisch am Wirtschaftsleben beteiligt hat.

Diese Entscheidung verdeutlicht daher, wie differenziert die Problemstellungen im Bereich des Insolvenzrechts zu beachten sind, stets der Blick auf den Einzelfall zu richten ist und gerade in der heutigen Zeit mit pauschalen Aussagen in Bezug zum Verhalten in Krisenzeiten sehr vor- und umsichtig umzugehen sein wird.