Erlöschen eines Girovertrags durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Annahme eines konkludent geschlossenen Girovertrages.

Erlischt ein Zahlungsdienstrahmenvertrag (Girovertrag) des Schuldners durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und weiß die Bank nichts vom Insolvenzverfahren, können Handlungen der Bank nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners, die sich nach objektivem Empfängerhorizont als vertragsgemäßes Verhalten im Rahmen des (erloschenen) Zahlungsdienstrahmenvertrags darstellen, nicht als konkludente Zustimmung zur Neubegründung eines Zahlungsdienstrahmenvertrags ausgelegt werden. So entschied der Bundesgerichtshof in einer neuen Entscheidung vom 16.09.2021.

Der BGH führt hier seine Rechtsprechung (anhand des gleichen Falles) fort und geht dabei auf die Umstände des Erlöschens des Girovertrages und dessen (hier abgelehnter) konkludent erfolgtem Neuabschluss ein. Dabei stellt der BGH klar, dass der Schuldner trotz Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters während des Antragsverfahrens rechtlich in der Lage war, nach Anordnung dieser Sicherungsmaßnahme eine schuldrechtliche Kontokorrentabrede zu treffen.

Tatbestand

Der BGH führt aus:

“Der Kläger ist Zahnarzt. Auf einen Insolvenzantrag vom 29. August 2014 bestellte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 1. September 2014 den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete einen Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an. Mit Beschluss vom 1. Oktober 2014 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

Bereits am 9. September 2014 eröffnete der Kläger bei der C. (fortan: Bank) ein neues Girokonto mit Kontokorrentabrede. Der Beklagte kannte das Girokonto des Klägers nicht. Der Kläger nutzte das Girokonto kaum; am 30. November 2014 betrug der Kontostand 157,69 €. Nachdem der Beklagte mit Wirkung zum 1. Dezember 2014 die freiberufliche Tätigkeit des Klägers als Zahnarzt aus der Masse freigegeben hatte, nutzte der Kläger das Girokonto als neues Geschäftskonto. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 forderte der Beklagte die Bank auf, das Konto zu sperren. Später löste der Beklagte das Konto auf und ließ das am 31. Dezember 2014 bestehende Kontoguthaben in Höhe von 13.270,37 € auf ein für die Insolvenzmasse eingerichtetes Sonderkonto überweisen. Das Guthaben ist auf Gutschriften in Höhe von 33.777,78 € und Abverfügungen des Klägers in Höhe von 20.507,41 € zurückzuführen, welche die Bank ausgeführt hat. Unter den Gutschriften befinden sich Überweisungen der K. über 11.457,49 € und 1.000 € sowie Überweisungen der D. GmbH (fortan: D. ) über 11.869,22 € und 8.544,60 €.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Auszahlung von 12.521,59 € in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 11.721,59 € stattgegeben. Der Bundesgerichtshof hat das die Berufung des Beklagten zurückweisende erste Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 ff). Im neuen Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht die Klage in Höhe weiterer 239,87€ abgewiesen und die weitergehende Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte eine vollständige Klageabweisung.”


Entscheidungsgründe

Zur Begründung führt das Gericht u.a. aus:

“Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Zahlungsdiensterahmenvertrag vom 9. September 2014 durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers gemäß §§ 115, 116 InsO erloschen ist. Ein neuer Zahlungsdiensterahmenvertrag kann durch konkludente Willenserklärungen zustande kommen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 Rn. 11 mwN). Ob ein schlüssiges Verhalten als Willenserklärung zu werten ist, bestimmt sich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben. Hiernach kommt es entscheidend darauf an, wie das Verhalten objektiv aus der Sicht des Erklärungsempfängers zu verstehen ist (BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 - VIII ZR 391/12, NJW 2014, 1951 Rn. 14; vom 14. Oktober 2020 - VIII ZR 318/19, NJW 2021, 464 Rn. 32; vom 16. März 2021 - VI ZR 140/20, VersR 2021, 798 Rn. 14). Die Bank muss Handlungen vorgenommen haben, derentwegen ein objektiver Empfänger ihr Verhalten nach dem 1. Dezember 2014 als Annahme eines konkludenten Antrags des Klägers auf Neuabschluss eines Zahlungsdiensterahmenvertrags zu den bisherigen Bedingungen verstehen musste.

Diese Beurteilung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist in erster Linie dem Tatrichter vorbehalten. Das Revisionsgericht prüft insoweit lediglich nach, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind, wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist oder die Auslegung auf mit der Revision gerügten Verfahrensfehlern beruht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - IX ZR 313/12, ZIP 2014, 736 Rn. 13; vom 12. Oktober 2016 - VIII ZR 55/15, BGHZ 212, 248 Rn. 35; vom 17. September 2020 - IX ZR 174/19, ZIP 2020, 2135 Rn. 28, jeweils mwN). Das gilt auch für die Auslegung einer Willenserklärung durch schlüssiges Verhalten (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014, aaO).

Im Interesse der Rechtssicherheit können strenge Anforderungen an einen Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten zu stellen sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2019 - IX ZR 89/18, WM 2019, 728 Rn. 12 mwN; vom 14. Februar 2019 - IX ZR 203/18, WM 2019, 1227 Rn. 9, jeweils zum konkludenten Abschluss eines Anwaltsvertrags). Die Qualifizierung eines Verhaltens als schlüssige Annahmeerklärung setzt das Bewusstsein voraus, dass für das Zustandekommen des Vertrages zumindest möglicherweise noch eine Erklärung erforderlich ist (BGH, Urteil vom 11. Juni 2010 - V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn. 18 mwN). Der Erklärende muss Zweifel an dem Fortbestand des Vertrages haben (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2010, aaO mwN). Handlungen, die sich als Erfüllungsleistungen darstellen, kommt ein Erklärungswert nicht allgemein, sondern nur dann zu, wenn der Schuldner aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall bei seiner Leistung aus der Sicht des Empfängers den Eindruck erweckt, er handle mit einem auf den Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung gerichteten Rechtsfolgewillen (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2021 - VI ZR 140/20, VersR 2021, 798 Rn. 14). Sie sind grundsätzlich nicht als schlüssige Annahmeerklärung auszulegen, wenn der handelnde Teil von einem wirksamen Vertrag ausgeht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2005 - VIII ZR 66/04, WM 2005, 1089, 1091; vom 11. Juni 2010 - V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn. 17 f; vom 7. Juni 2013 - V ZR 10/12, NJW 2013, 3434 Rn. 27; vom 14. Januar 2016 - III ZR 107/15, NJW 2016, 3027 Rn. 30; vom 24. Februar 2016 - XII ZR 5/15, BGHZ 209, 105 Rn. 37).

Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft für die Zeit nach dem 1. Dezember 2014 einen konkludenten Neuabschluss eines Zahlungsdiensterahmenvertrags im Sinne des § 675f Abs. 2 BGB bejaht.

Bereits der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, es könne nicht angenommen werden, dass der Kläger am 9. September 2014 bei der Bank wirksam ein Girokonto eröffnet habe. Der Kläger war am 9. September 2014 in der Lage, sich uneingeschränkt zu verpflichten. Der am 29. August 2014 gestellte Insolvenzantrag hat keinen Einfluss auf die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Klägers. Auch der Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO beschränkt die Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht. Er bewirkt lediglich, dass der vorläufige Verwalter wirksame Verfügungen des Schuldners verhindern kann (BGH, Urteil vom 24. September 2020 - IX ZR 289/18, BGHZ 227, 123 Rn. 20 mwN). Er hindert den Schuldner insbesondere nicht daran, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen zu übernehmen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 - IX ZR 78/07, ZIP 2009, 673 Rn. 21; MünchKomm-InsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl., § 24 Rn. 12). Dies gilt auch für eine schuldrechtliche Kontokorrentabrede (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2009, aaO; vom 15. März 2012 - IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737 Rn. 21; vgl. zu den im Kontokorrent enthaltenen Verträgen MünchKomm-HGB/Langenbucher, 5. Aufl., § 355 Rn. 7 ff). Diese erlischt vielmehr gemäß §§ 115, 116 InsO erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urteil vom 25. Juni 2009 - IX ZR 98/08, BGHZ 181, 362 Rn. 10). Dass sich die mit dem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO angeordneten Verfügungsbeschränkungen auf die im Kontokorrentvertrag enthaltenen antizipierten Verrechnungsvereinbarungen auswirken (grundlegend BGH, Urteil vom 4. Mai 1979 - I ZR 127/77, BGHZ 74, 253, 254 f; vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2012, aaO), schränkt den Schuldner nicht ein, eine schuldrechtliche Kontokorrentabrede zu treffen.

Das Berufungsgericht hat weiter den von ihm zugrunde gelegten Sachverhalt unvollständig gewürdigt und dabei den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung von Willenserklärungen außer Acht gelassen. Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass der Bank weder die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters am 1. September 2014 noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers bekannt gewesen seien. Damit stellen sich die Handlungen der Bank - wie die Revision zutreffend rügt - aus der Sicht eines objektiven Empfängers als vertragsgemäßes Verhalten im Rahmen des bereits am 9. September 2014 abgeschlossenen Zahlungsdiensterahmenvertrags dar. Schon deshalb kommt ihnen kein weitergehender rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zu. Dies gilt umso mehr, als das Berufungsgericht nichts dazu feststellt, dass der Bank am 1. Dezember 2014 die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Klägers und der Wille des Klägers, einen neuen Zahlungsdiensterahmenvertrag für den Zahlungsverkehr aufgrund der freigegebenen Tätigkeit abschließen zu wollen, bekannt oder auch nur erkennbar gewesen sind.

Den vom Berufungsgericht herangezogenen Umständen kommt im Streitfall kein Erklärungswert zu.” (Anmerkung des Verfassers: wird vom Gericht näher ausgeführt)

Resümee

Die Entscheidung festigt die Rechtsprechung, dass der Girovertrag nebst Kontokorrentabrede mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet. Weiter zeigt die Entscheidung sehr eindrucksvoll auf, dass es für den Schuldner nicht förderlich ist, wenn er die Beteiligten über seine Insolvenzsituation im Unklaren lässt und er damit hierdurch keine Vorteile erlangen kann und darf.


BGH, Urteil vom 16. September 2021 – IX ZR 213/20