Das Rechtsfahrgebot

In § 2 Abs. 2 StVO ist geregelt, dass Fahrzeuge auf der Fahrbahn möglichst weit rechts fahren müssen. Dies gilt laut Gesetzestext nicht nur bei Gegenverkehr, beim Überholtwerden, an Kuppen, in Kurven oder bei Unübersichtlichkeit.

Das bedeutet jedoch nicht, dass am äußersten rechten Fahrbahnrand zu fahren ist. Vielmehr ist ein angemessener Sicherheitsabstand zum Fahrbahnrand einzuhalten, so das Oberlandesgericht München in seiner Entscheidung vom 02.06.2021.

Dabei hat das OLG München hervorgehoben, dass das Rechtsfahrgebot dem Schutz des Längsverkehrs dient und eine möglichst gefahrlose Begegnung der Fahrzeuge ermöglichen soll. Der Querverkehr und die Kraftfahrer, die in eine Straße einfahren oder einfahren wollen, sind hingegen vom Schutzbereich des Rechtsfahrgebots nicht umfasst.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs befuhr die Vorfahrtsstraße, wobei er sich nicht am äußersten rechten Fahrbahnrand befand. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs bog nach rechts auf die Vorfahrtsstraße ab. Im Rahmen des Abbiegevorgangs kam es im Kreuzungsbereich zur Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen. Das Beklagtenfahrzeug kippte bei dem Versuch, dem klägerischen Fahrzeug auszuweichen, um. Die Klägerin begehrte daraufhin Schadensersatz.

Das Landgericht ging in erster Instanz von einem Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot durch das klägerische Fahrzeug aus und stellte eine Mithaftung der Klägerin fest. Die Klägerin legte daraufhin Berufung ein.

Das OLG München kam in der Berufungsinstanz zu einer anderen rechtlichen Wertung des Sachverhalts.

In den Urteilsgründen führt das OLG aus, das LG habe der Klägerin eine Teilschuld auferlegt, da das klägerische Fahrzeug auf der Fahrbahnhälfte nicht deutlich rechts orientiert gefahren sei. Dadurch habe der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs den Fahrer des Beklagtenfahrzeugs gezwungen, sein Fahrzeug stark nach rechts zu lenken, um eine Kollision zu vermeiden. Dies stelle jedoch keinen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot dar, so das OLG München, da der Schutzbereich der Norm nicht eröffnet sei. Ausschließlich der Längsverkehr und nicht der Querverkehr werde durch das Gebot geschützt.

Zudem weise die Klägerin auch zutreffend darauf hin, dass das Gebot, möglichst weit rechts zu fahren, nicht bedeute, dass am äußersten rechten Fahrbahnrand zu fahren sei. Es sei ein angemessener Sicherheitsabstand zum Fahrbahnrand einzuhalten. Nachdem der gerichtliche Sachverständige festgestellt hat, dass sich das Klägerfahrzeug mit den Rädern in seiner Fahrspur mit einem Abstand von 1 bis 1,3 m zum rechten Fahrbahnrand befunden habe, sei zugunsten der Klägerin davon auszugehen, dass ein angemessener Sicherheitsabstand im streitgegenständlichen Fall eingehalten wurde. Das OLG stellte folglich eine alleinige Haftung des Beklagten fest.


Oberlandesgericht München, Urteil vom 02.06.2021 – 10 U 751/20

30.11.2021, 09:45
Kategorien: Veröffentlichungen
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht