! Änderung der Rechtsprechung !

Der Kommanditist haftet in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kommanditgesellschaft für Masseverbindlichkeiten, welche von der Insolvenzschuldnerin begründet worden sind.

Die persönliche Haftung des Gesellschafters für Masseverbindlichkeiten in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft scheidet grundsätzlich nicht bereits aus insolvenzrechtlichen Gründen aus (Aufgabe von BGH, Urteil vom 24. September 2009 - IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204).

(BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - IX ZR 54/20 -, juris)


Anmerkung:

Der BGH schwenkt von seiner bisherigen Linie ab und stellt klar, dass der Gesellschafter für die von der Schuldnerin begründeten Verbindlichkeiten haftet. Er begründet dies u.a. mit der Einflussmöglichkeit der Gesellschafter auf die Schuldnerin.

Im entschiedenen Fall ging es um Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO, die mit Zustimmung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründet wurden; bei denen der BGH aber die Begründetheit im Verantwortungsbereich der Schuldnerin sah.


Sachverhalt:

Der Beklagte ist Kommanditist der Schuldnerin und mit einer Hafteinlage von 100.000 DM im Handelsregister eingetragen. In den Jahren 2002 bis 2007 zahlte die Schuldnerin an den Beklagten Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 13.293,59 €. Die Schuldnerin wechselte im Jahr 2003 von der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG zur Gewinnermittlung bei Handelsschiffen im internationalen Verkehr gemäß § 5a EStG (sogenannte Tonnagegewinnermittlung). Die gesonderte und einheitliche Feststellung des Unterschiedsbetrags zwischen Buchwert und Teilwert nach § 5a Abs. 4 EStG auf den 31. Dezember 2002 erfolgte mit Feststellungsbescheid vom 30. März 2012.

Mit Beschluss vom 2. Mai 2014 bestellte das Insolvenzgericht den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Die Schuldnerin veräußerte das Schiff am 2. Juli 2014; der Kläger stimmte der Veräußerung in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter zu. Das Finanzamt Bremen setzte mit Bescheid vom 3. Juni 2016 eine Gewerbesteuer für das Jahr 2014 in Höhe von 309.552,40 € fest. Von der Gewerbesteuerforderung sind 4.994,74 € durch Verrechnung getilgt. Den verbleibenden Betrag von 304.557,66 € hat das Finanzamt als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO eingeordnet. Die zur Insolvenztabelle festgestellten Insolvenzforderungen sind aufgrund von anderen Kommanditisten erbrachter Zahlungen vollständig gedeckt. Hingegen kann die Verbindlichkeit aus dem Steuerbescheid nicht aus der Insolvenzmasse befriedigt werden.
Der Kläger macht geltend, der Beklagte hafte als Kommanditist für die noch offene Gewerbesteuerforderung, und verlangt Zahlung von 13.293,59 €. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung des Beklagten.


Entscheidungsgründe:

Der BGH führt hierzu aus:

„Der Beklagte haftet den Gläubigern der Schuldnerin als Kommanditist gemäß § 171 Abs. 1 HGB unmittelbar. Aufgrund der erhaltenen Ausschüttungen ist die Haftung des Beklagten nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß § 172 Abs. 4 HGB in Höhe von 13.293,59 € wieder aufgelebt. Die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 stellt eine Gesellschaftsverbindlichkeit dar. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG ist Steuerschuldnerin die Gesellschaft.“

Hatte der Bundesgerichtshof noch mit Urteil vom 24. September 2009 - IX ZR 234/07 entschieden, dass die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft nicht persönlich für die von dem Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft begründeten Masseverbindlichkeiten haften. So bezog sich diese Entscheidung auf Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters nach der Verfahrenseröffnung und hierdurch begründete Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 InsO) und zudem die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO), enthielt jedoch keine Entscheidung für andere Masseverbindlichkeiten, insbesondere nicht für Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO oder für Masseverbindlichkeiten bei einer Eigenverwaltung. Auch mit Urteil vom 17. Dezember 2015 (IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 hat der Bundesgerichtshof nur- obiter - ausgesprochen, dass die Gesellschafter nicht für sämtliche Masseverbindlichkeiten haften.

So kehrt sich der BGH nunmehr von dieser Linie ab und führt aus:

„Der Bundesgerichtshof hält an dieser Rechtsprechung nicht fest, soweit eine Beschränkung der Haftung der Gesellschafter damit begründet wird, dass die Gesellschaft als Schuldnerin aus insolvenzrechtlichen Gründen für bestimmte Masseverbindlichkeiten nur gegenständlich beschränkt hafte. Insoweit hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass hinsichtlich solcher Masseverbindlichkeiten eine dem Verfahren immanente Haftungsbeschränkung bestehe. Da
die Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters bei der Begründung solcher Masseverbindlichkeiten auf die Gegenstände der Masse beschränkt sei, komme eine Haftung der Gesellschafter für solche Masseverbindlichkeiten bereits aus insolvenzrechtlichen Gründen nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 24. September 2009,aaO Rn. 13 ff).

Aus den Grenzen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters folgt zwar, dass der Verwalter nicht über das massefreie Vermögen der Gesellschaft als Schuldnerin verfügen kann (BGH, Urteil vom 24. September 2009, aaO Rn. 12; Schmidt, ZHR 174 (2010), 163, 172). Ob ein Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft als Schuldnerin haftet, welche durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden sind, ist damit jedoch nicht beantwortet. In welchem Umfang Massegläubiger das Vermögen des Schuldners nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in Anspruch nehmen können, hat auf die Einordnung einer Verbindlichkeit als Verbindlichkeit des Schuldners keinen Einfluss. Die Haftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft beruht auf den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen der §§ 128, 161 Abs. 1, §§ 171, 172 HGB.

Auch wenn die Gesellschaft als Schuldnerin für bestimmte Masseverbindlichkeiten nur gegenständlich beschränkt haftet, rechtfertigt dies allein nicht, dass eine Haftung der Gesellschafter für solche Verbindlichkeiten der Gesellschaft von vornherein ausscheidet. Vielmehr ist es eine Frage der die Haftung der Gesellschafter anordnenden Norm, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in der Insolvenz ausnahmsweise eingeschränkt werden kann. Hängt die Haftung des Gesellschafters von den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen ab, kann nicht angenommen werden, dass die aus dem Amt des Insolvenzverwalters folgenden Befugnisse erweitert würden, wenn die Gesellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft über § 128 HGB auch für die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründeten Verbindlichkeiten haften. Soweit aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. September 2009 (IX ZR 234/07, ZIP 2009, 2204 Rn. 14) etwas Anderes entnommen werden kann, wird daran nicht festgehalten.

Der Beklagte haftet als Kommanditist für solche Masseverbindlichkeiten, welche die Schuldnerin begründet hat. Dies trifft auf die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 zu. Es besteht kein Anlass, die Haftung eines Kommanditisten nach §§ 128, 161 Abs. 2, §§ 171, 172 Abs. 4 HGB für Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO einzuschränken, welche vom Schuldner begründet worden sind (Zimmer, ZInsO, 2011, 1081, 1086 f).“


Resümee:

Die Steuerverbindlichkeit wurde zu einem Zeitpunkt begründet, als die Schuldnerin verwaltungs- und verfügungsbefugt war. Zwar hätte der vorläufige Insolvenzverwalter die Verfügung verhindern können (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2002 - IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353, 361; vom 24. September 2020 - IX ZR 289/18, ZIP 2020, 2079 Rn. 20). Dessen Zustimmung änderte aber nichts daran, dass die Schuldnerin die Verfügung selbst vornahm und die aus der Verfügung folgenden Masseverbindlichkeiten durch ein Handeln der Schuldnerin begründet worden sind.

Ohne dass es damit auf eine Einordnung der Verbindlichkeit als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit ankommt, sieht der BGH in der Folge eine Haftung des Gesellschafters, hier insbesondere des Kommanditisten, wenn die Haftungsnormen weiter erfüllt sind.

Hieran ist zu erkennen, dass der „gefährliche Ritt auf dem heißen Reifen“ für die Beteiligten eines Insolvenzverfahrens nicht mit der Stellung des Insolvenzantrags beendet ist, sondern sich auch in der Folgezeit Haftungsgefahren ergeben können.

Fachkundige Begleitung in jeder Phase eines Insolvenzverfahrens sollte daher zur Klärung der Haftungsgefahren stets als wichtig angesehen werden.