Abfindung in einem Sozialplan – mittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer i.S.v. § 75 Abs. 1 BetrVG bei Festlegung eines Abfindungshöchstbetrages?

Gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in der Vorschrift genannten Gründen, insbesondere auch aufgrund ihres Alters, unterbleibt. § 75 Abs. 1 BetrVG enthält nicht nur ein Überwachungsgebot, sondern verbietet zugleich Vereinbarungen, durch die Arbeitnehmer aufgrund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden.

Im Rahmen des Urteils vom 07.12.2021 (1 AZR 562/20) hatte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage zu befassen, ob eine Regelung in einem Sozialplan, die einen Abfindungshöchstbetrag festlegt, eine gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßende mittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer bewirkt. Der Gesetzgeber hat die in § 1 AGG geregelten Benachteiligungsverbote in § 75 Abs. 1 BetrVG übernommen.

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt schlossen der Arbeitgeber und der für den Betrieb gebildete Betriebsrat im Juni 2019 einen „Sozialplan zur Werkschließung“. Dieser sah unter anderem für alle Arbeitnehmer, die betriebsbedingt gekündigt wurden, einen Anspruch auf eine Abfindung vor, die sich nach der Formel „Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatseinkommen x Faktor“ berechnete. Der Faktor betrug bis zur Vollendung des 40. Lebensjahrs 0,25, ab einem Alter von 41 bis 50 Jahren 0,35, von 51 bis 55 Jahren 0,75, von 56 bis 58 Jahren 0,95, von 59 bis 60 Jahren 0,85, von 61 Jahren 0,55, von 62 Jahren 0,25 und von 63 bis 66 Jahren 0,15. Weiter wurde im Rahmen des Sozialplans geregelt, dass der sich insgesamt ergebende Abfindungsbetrag (Gesamtabfindung) auf einen max. Höchstbetrag von 75.000 € pro Arbeitnehmer beschränkt wird.

Das BAG hat hinsichtlich der im Sozialplan enthaltenen Höchstbetragsbegrenzung entschieden, dass diese keine unmittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG darstellt, da sie nicht an das Alter der Arbeitnehmer anknüpft, sondern die Abfindung für alle Arbeitnehmer der von ihr erfassten Personengruppe gleichermaßen altersunabhängig auf einen maximalen Betrag von 75.000,00 Euro begrenzt. Die dem Anschein nach neutrale Regelung könne jedoch Arbeitnehmer bestimmter Altersgruppen iSv. § 3 Abs. 2 HS. 1 AGG in besonderer Weise benachteiligen. Dies führe gleichwohl nicht zu einer mittelbaren Benachteiligung aufgrund des Alters, da die Ungleichbehandlung nach § 3 Abs. 2 HS. 2 AGG gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber hat die in § 1 AGG geregelten Benachteiligungsverbote in § 75 Abs. 1 BetrVG übernommen. Die unterschiedliche Behandlung der Betriebsangehörigen aus einem in § 1 AGG genannten Grund ist daher nur unter den im AGG normierten Voraussetzungen zulässig.

Nach den Ausführungen des 1. Senats des BAG war eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des Alters iSv. § 3 Abs. 2 AGG deshalb nicht gegeben, weil die Begrenzung der Sozialplanabfindung auf den Betrag von höchstens 75.000,00 Euro durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt war und die Mittel zu dessen Erreichung erforderlich und angemessen waren.

Das mit einer Regelung verfolgte Ziel müsse dabei nicht ausdrücklich benannt werden. Auch aus dem allgemeinen Kontext der Regelung können sich Anhaltspunkte ergeben die es ermöglichen den Zweck der Regelung festzustellen und dadurch Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Bestimmung zu überprüfen.

Die im Sozialplan enthaltene Norm diene einem rechtmäßigen Ziel iSv. § 3 Abs. 2 HS. 2 AGG. Die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft in Sozialplänen, entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Arbeitnehmer, die der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel Rechnung trägt, stelle sogar ein legitimes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG dar.

Die Höchstbetragsregelung war zudem geeignet, erforderlich und auch angemessen.
Eine derartige Regelung ist geeignet, das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit unter Berücksichtigung des beschränkten Sozialplanvolumens zu erreichen. Durch die festgelegte Obergrenze der Abfindungshöhe wird ein - durch die Faktoren der Berechnungsformel ermöglichter - erheblicher Anstieg der Abfindung für die Altersgruppe der 51- bis 60-jährigen Arbeitnehmer verhindert und dadurch gewährleistet, dass auch für die anderen von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer noch Mittel zur Zahlung von Sozialplanabfindungen zur Verfügung stehen.
Die Bestimmung ist auch erforderlich, um möglichst allen betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe zu gewähren.
Die Begrenzung der Sozialplanabfindung auf den Betrag von höchstens 75.000,00 Euro sei schließlich auch angemessen. Die Regelung führe nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der von ihr betroffenen Arbeitnehmer.


Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.12.2021 – 1 AZR 562/20

15.02.2022, 10:50
Kategorien: Veröffentlichungen
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht